„Vom Essen wollen – und müssen“
Klasse 12, Heinrich-Heine-Gymnasium
Vortrag zum Thema „Freier Wille und Suchtverhalten“ für die Ethikkurse der Kursstufe 1
Die Frage, wie frei ist unser Wille und können wir unser Handeln wirklich bewusst steuern, stand im Mittelpunkt des Vortrages von Diplom-Psychologe Dr. Nils Kroemer und seiner Kollegin Monja Neuser. Mit den verschiedenen Standpunkten zu dieser Frage befasst sich auch der Ethikunterricht zum Thema „Anthropologie“ in Kursstufe 1.
Herr Kroemer und Frau Neuser forschen an der Universität Tübingen im Bereich Translationale Psychiatrie, der die neurobiologischen Charakteristiken psychischer Störungen untersucht. Durch die Verbindung verschiedener Bildgebungsverfahren, wie der Magnetresonanztomographie, mit ausführlichen Verhaltenstests werden relevante Veränderungen, beispielsweise der Motivation und Handlungssteuerung bei Störungen wie der Depression oder Adipositas („Fettsucht“) beleuchtet
In ihrem Vortrag berichteten sie über neuere Forschungen zum bekannten Libet Experiment, mit dem man einst meinte belegen zu können, dass das Gehirn unsere Entscheidungen längst getroffen hat, bevor wir uns dessen bewusst werden. Jüngere Forschungsergebnisse widersprechen diesem Befund zwar nicht völlig, aber es konnte bewiesen werden, dass man bis 200 Millisekunden vor der Ausführung einer Handlung diese jederzeit widerrufen bzw. abbrechen kann. Auf die Frage, haben wir nun einen freien Willen, berufen sich die beiden auf den Kompatibilismus oder auch schwachen Determinismus: Wie wir handeln, wird durch eine Vielzahl von Faktoren (genetische, soziale, biologische, Erziehung, Kultur etc.) und Präferenzen beeinflusst oder „determiniert“, aber wir haben den freien Willen und die Möglichkeit uns jederzeit auch anders zu entscheiden und einem Impuls nicht nachzugeben.
Zu den sehr wirkmächtigen biologischen Faktoren gehört in Zusammenhang mit Suchtverhalten die Ausbildung von Rezeptoren zur Aufnahme bestimmter Botenstoffe. Dr. Kroemer betonte, dass einmal ausgebildete Synapsen, an denen zum Beispiel Nikotin andockt, kaum abgebaut werden, auch wenn man jahrelang schon nicht mehr raucht, sie werden nur inaktiv, bleiben aber reaktivierbar. Dieses Suchtgedächtnis erklärt, weshalb zum Beispiel ein ehemaliger Alkoholiker zeitlebens Alkohol meiden muss, da er sonst Gefahr läuft, rückfällig zu werden. Je ausgeprägter die Sucht war, umso schwieriger ist es, seinen freien Willen gegen den Suchtimpuls durchzusetzen und umso größer ist die Rückfallgefahr. Dieses Muster gilt jedoch nicht nur für Suchtarten, die an Drogen geknüpft sind, sondern gilt für viele Arten von exzessivem Verhalten, das beinahe zwanghaft wird, wie bei der Spielsucht. Von Sucht spricht man prinzipiell, wie erklärt wurde, wenn eine Handlung, obwohl sie einem Probleme bereitet und schadet, weiterhin ausgeübt wird. Vergleichbare Prozesse treten ebenfalls bei Anorexie oder anderen Zwangshandlungen auf.
Sucht führt also immer zu einer Anpassung und Umbildung des Gehirns, die teilweise irreversibel ist. Deshalb ist es so wichtig, dass man jederzeit die Kontrolle über seinen Konsum behält, da sonst das Verlangen nach Substanzen die Kontrolle über das eigene Handeln übernehmen könnte. Auf dieser Erkenntnis fußt das Motto der Kampagne: Be smart – don’t start!
Wir bedanken uns bei den Referenten für diesen interessanten Vortrag, dem sich anschließend noch eine Frage- und Gesprächsrunde anschloss. Dieser Besuch wurde möglich durch die Vermittlung von Kollegin Tina Finke, die uns Ihren Mann zu diesem Vortrag vermittelt hat, sowie durch die Unterstützung der Forschungsbörse, einer Initiative des Bundesbildungsministeriums, die den Austausch zwischen Hochschulen und Schulen fördert.
(Petra Enz-Meyer)